Für eine europäische Agrarwende: gut für Landwirt*innen und Tiere, gut für Klima, Natur und Artenschutz – Gut für Niedersachsen. 7. Mai 20198. Mai 2019 Direktzahlungen müssen bis 2028 auslaufen und für die ökologische und nachhaltige Ausrichtung der Agrarwirtschaft eingesetzt werden Die Europawahl entscheidet über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU und in Niedersachsen. Wir setzen uns für eine vielfältige, bäuerliche Landwirtschaft ein, die Natur, Umwelt und Klima schont und hohe Tierschutzstandards sichert. Doch von einer umfassenden Agrarwende sind wir bislang weit entfernt: Pestizide werden noch immer ohne ausreichende Umweltverträglichkeitsprüfung zugelassen. Tierschutzauflagen sind unzureichend wie z.B. die Anforderungen an den Platzbedarf von Schweinen, Hühnern und Puten. Die EU-Tiertransportverordnung für Nutztiere wird von den Mitgliedsstaaten nur unzureichend umgesetzt. Die rot-schwarze Landesregierung in Niedersachsen verweigert im Gegensatz zu anderen Bundesländern ein Verbot für Exporte in Drittstaaten außerhalb der EU. Intensive Landnutzung, überdimensionierte Ackerschläge ohne Strukturvielfalt, Grasäcker statt Wiesen und Weiden treiben das Artensterben weiter – gefördert durch flächengebundene Direktzahlungen aus EU-Fördermitteln. Zu hohe Tierzahlen, die nicht zu den landwirtschaftlichen Flächen eines Betriebes passen und in riesigen Mengen Importfutter wie Soja benötigen, sorgen für massive Überdüngung und schädigen damit Gewässer und Böden. Das müssen wir ändern. Gemeinsame Agrarpolitik der EU neu ausrichten: Lebensgrundlagen erhalten, Höfesterben stoppen Zentrales Steuerungselement für eine nachhaltige Agrarwirtschaft und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen Boden, Wasser, Luft, Klima, Arten- und Biotopschutz ist das Fördersystem der gemeinsamen Agrarpolitik. Mit knapp 60 Milliarden Euro jährlich macht diese Förderung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes rund 40 % des EU-Haushalts aus. Die Art und Weise, wie bisher die Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik ausgezahlt werden, ist inakzeptabel. In den vergangenen Jahrzehnten wurden dadurch starke Fehlanreize gesetzt und die Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft subventioniert und angeheizt. Ohne eine radikale Transformation der Landwirtschaft, kann die ökologische Wende nicht gelingen. Öffentliches Geld soll deshalb nur noch das europäische Gemeinwohl fördern und in öffentliche Leistungen investiert werden. Die Agrargelder müssen dazu grundlegend umstrukturiert werden. In den kommenden Monaten wird über die EU-Agrarförderung für die Jahre 2021 bis 2028 entschieden. Es geht darum, ob wir weiterhin unser Wasser, unseren Boden und unsere Luft mit zu viel Stickstoff, zu vielen Pestiziden und zu viel Feinstaub belasten oder ob jetzt endlich die Wende hin zu einer umwelt- und sozialverträglichen Landwirtschaft eingeleitet wird: für gerechte Einkommen von Bäuerinnen und Bauern, für unser Klima und den Schutz der biologischen Vielfalt, für sauberes Wasser, gesunden Boden und gute Luft. Für die Zukunft der in Niedersachsen bislang weit verbreiteten bäuerliche Landwirtschaft ist dieses Umsteuern überlebenswichtig. Die Politik der letzten Jahrzehnte hat den Bäuerinnen und Bauern geschadet: Etwa ein Drittel der Betriebe mussten in den letzten 15 Jahren schließen. Ihre Flächen wurden vielfach von Großbetrieben übernommen. Solange drei Viertel der Agrarfördermittel pauschal an die Fläche gekoppelt sind, profitieren vor allem die Großen. In Deutschland erhalten inzwischen ein Viertel der Betriebe fast 70 % der Agrarsubventionen. Die pauschale Flächenprämie führt außerdem zu einer Subventionierung von Landbesitz statt von Landbewirtschaftung und sie erhöht die Pachtpreise. Über 50% der bewirtschafteten Nutzfläche sind inzwischen gepachtet. Mit einer Neuausrichtung der Förderung wollen wir das grassierende Höfesterben endlich stoppen. Gibt es kein Umsteuern, wird das Ergebnis endgültig eine industrielle Landwirtschaft mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Umwelt und den ländlichen Raum sein. Deshalb kämpfen wir GRÜNEN an der Seite der zehntausenden Bürgerinnen und Bürger, die sich bei der Wir-haben-es-statt-Demonstration am 19. Januar in Berlin nachdrücklich für eine sozial- und umweltverträgliche wie tiergerechte Landwirtschaft eingesetzt haben. Darum geht es bei der Europawahl am 26. Mai. Die Hungererfahrung der Nachkriegszeit war 1957 der Anlass, die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik in den Römischen Verträgen festzuschreiben. Bei der Erreichung des Ziels einer ausreichenden Nahrungsmittelversorgung war die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sehr erfolgreich: Bereits in den 1970er Jahren produzierten die Bäuerinnen und Bauern in der EWG mehr Nahrungsmittel, als gebraucht wurden. Für Nahrungsmittel mussten immer geringere Einkommensanteile aufgewandt werden. Das eröffnete den Bürger*innen die Möglichkeit, die freiwerdenden Mittel für andere Waren und Dienstleistungen zu verwenden und war so eine wesentliche Ursache für wachsenden Wohlstand. Sechzig Jahre später müssen wir die Landwirtschaftspolitik endlich den veränderten Bedingungen anpassen. Die EU hat sich den Zielen des Klimaschutzes, der Erhaltung der biologischen Vielfalt und der globalen Gerechtigkeit verpflichtet. Bislang konterkariert die Agrarpolitik massiv die Nachhaltigkeitsziele der EU. Es ist mehr als überfällig, auch die Agrarpolitik an den Nachhaltigkeitszielen der EU auszurichten. Deshalb wollen wir die Agrarförderung schrittweise zur Honorierung von Umwelt- und Tierschutzleistungen der Landwirtschaft sowie zur Förderung einer bäuerlichen, flächengebundenen Landwirtschaft einsetzen. Pauschale Flächenprämien – die sog. Direktzahlungen – wollen wir im Laufe der kommenden Förderperiode 2028 vollständig auslaufen lassen und die freiwerdenden Mittel in vollem Umfang umlenken. EU-Fördergelder sollen Betriebe künftig nur noch für Leistungen bekommen, die im Umwelt-, Natur-, Klima-, und Tierschutzbereich über gesetzliche Standards hinausgehen. Wir widmen so den bisherigen Grundsatz „Wer viel Fläche hat bekommt viel Geld vom Staat“ um – und fördern so gerade bäuerliche Betriebe, die sich auf gesellschaftlich gewollte Anforderungen einstellen. Zur Sicherung von Agrarökosystemen wollen wir den ökologischen Landbau verstärkt fördern. Gleiches gilt für die flächengebundene Tierhaltung: Nur wenn die Tierhaltung zu der verfügbaren Fläche passt, kann das Futter vor Ort gewonnen und die anfallenden Wirtschaftsdünger auch vor Ort genutzt werden. Die von der Fläche weitgehend entkoppelte industrielle Landwirtschaft ist zudem auf Überschüsse und Export ausgerichtet. Mit dieser Produktionsweise werden regionale Märkte in Entwicklungs- und Schwellenländern ruiniert. Zugleich importieren wir aus diesen Ländern Unmengen Futtermittel; deren Anbau zerstört dort die Böden und Regenwälder und raubt den Menschen dort direkt ihre Nahrungsgrundlage. Um bei flächengebundener Tierhaltung und damit geringeren Tierzahlen ein vernünftiges Einkommen zu erzielen, muss die Wertschöpfung je Tier gesteigert werden. Das geht z.B. durch transparente und nachvollziehbare Haltungskriterien im Sinne des Tierschutzes: Genauso wie die Zertifizierung der Eier nach Haltungsformen ist auch eine Fleischkennzeichnung erforderlich, am besten auf Ebene der Europäischen Union! Klimaschutz – nur mit einer Wende in der Agrarpolitik Die Landwirtschaft in Niedersachsen ist vor allem durch Massentierhaltung, Überdüngung und Landnutzungsänderungen für etwa ein Viertel der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Durch eine zielgerichtete Förderung von weniger Düngeeinsatz und die Humusanreicherung in Böden, durch die Förderung von Grünland und hohen Wasserständen sowie standortangepassten, innovativen Produktionsweisen (z.B. Paludikultur) auf Moorböden können Landwirt*innen einen deutlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Artenvielfalt statt Monokultur; Umweltfolgen bei der Pestizidzulassung stärker berücksichtigen Wo früher Gehölze, Hecken und bunte Wiesen Insekten und Vögeln Nahrung und Schutz boten, hat die Intensivlandwirtschaft vielfach die ökologische Qualität und das Landschaftsbild massiv verschlechtert. Die Folgen werden immer stärker sichtbar: Die Umwandlung einer vielfältigen Kulturlandschaft zur intensiv genutzten großräumig monotonen Agrarlandschaft hat einen anhaltenden Artenrückgang ausgelöst: Drei Viertel der Insekten und mehr als die Hälfte aller Feldvögel sind seit 1980 verschwunden. Strukturvielfalt muss ein zentrales Förderziel der EU-Agrarpolitik werden. Neben dem Verlust von Lebensräumen sind Pestizide wesentlich für das Artensterben verantwortlich. Bei der Zulassung von Pestiziden müssen deshalb Umweltfolgen stärker berücksichtigt werden. Es ist ein Erfolg, dass die einer Zulassung zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Studien jetzt offengelegt werden müssen. Das reicht aber nicht. Die EU muss vor der Zulassung Wechselwirkungen mit anderen Mitteln und ökotoxische Langzeitfolgen prüfen. Solange die Unschädlichkeit eines Wirkstoffes nicht nachgewiesen ist, darf dieser nicht zugelassen werden. Besonders schädliche Pestizide wie Neonikotinoide und Totalherbizide wie Glyphosat sind umgehend zu verbieten. Ausnahmegenehmigungen einzelner Mitgliedsstaaten wie beim Einsatz der wenigen bereits verbotener Neonikotinoide z.B. beim Zuckerrübenanbau müssen verhindert werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als Genehmigungsbehörde muss eigene Studien erstellen, statt sich auf Herstellerstudien zu verlassen. Wir wollen Dünge- und Pestizideinträge verringern und saubere Gewässer und fruchtbaren Boden als Grundlage landwirtschaftlicher Produktion erhalten. Tiere wirksam schützen, Lebensbedingungen verbessern Schweine, Masthühner, Puten und andere Nutztiere brauchen deutlich mehr Platz und Auslauf! Die bisherigen Bedingungen unter anderem für die über acht Millionen Schweine in Niedersachsen sind eine Sauerei. Bis zu 110 Kilogramm schwere Mastschweine müssen mit 0,75 Quadratmetern auskommen; bis zu 23 Masthühner werden auf einem Quadratmeter zusammengepfercht. Deutschland und Niedersachsen sind gefordert, EU-Tierschutzrecht auch konsequent umzusetzen, wie z.B. das Verbot des regelmäßigen Kupierens der Ringelschwänze bei Schweinen. Damit würden sich auch die Haltungsbedingungen verbessern, weil das eine Voraussetzung ist, um das Schwanzbeißen zu verringern. Wenn Mitgliedsstaaten, wie in diesem Fall Deutschland, EU-Vorgaben nicht einhalten, werden wir darauf drängen, dass die EU schneller und konsequenter auch Sanktionen verhängt. Auch durch Anreize wie z.B. Investitionsbeihilfen für artgerechtere Stallneubauten oder Weideprämien wollen wir befördern, dass Tiere besser ihren artgemäßen Ansprüchen entsprechend gehalten werden. Wir brauchen eine nachdrückliche Umsteuerung in der Agrarpolitik. EU-rechtliche Vorschriften im Bereich der Zulassung von Pestizidwirkstoffen wollen wir verschärfen, die Regelungen zur landwirtschaftlichen Tierhaltung endlich an den Bedürfnissen der Tiere ausrichten. In Niedersachsen setzen wir uns dafür ein, im Tierschutz Vorreiter zu werden. Dort wo Land und Bund EU-rechtliche Regelungen nicht konsequent umsetzen, wollen wir Europa stärken: geltendes Recht muss durchgesetzt werden, die EU darf kein zahnloser Tiger sein! Fördermittel darf es zukünftig nur geben, wenn dadurch über die gesetzlichen Standards hinaus gesellschaftliche Leistungen erbracht werden. Die bei der Abschaffung der landwirtschaftlichen Flächenprämien freiwerdenden Mittel wollen wir konsequent in die Förderung • einer vielfältigen und artenreichen Agrarlandschaft, • der Anpassung der Düngemengen auf den Pflanzenbedarf, • der Minimierung des Antibiotika- und Pestizideinsatzes und • einer artgerechteren Tierhaltung umschichten. Die Europäische Agrarpolitik braucht die GRÜNE Handschrift. Jetzt. Packen wir es gemeinsam an!