Raus aus der Krise – mit einem handlungsfähigen Staat und sozial-ökologischen Investitionen 28. Juni 2021 Die Corona-Pandemie bedeutet für viele Menschen existenzielle Belastungen – gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich. Über 89.000 Todesfälle, über 3,7 Millionen Infizierte, von denen mehr als jede*r Zehnte lange unter den Folgen von Long Covid leiden wird. Neben wirtschaftlichen Einbußen historischen Ausmaßes werden schon bestehende Ungleichheiten weiter verstärkt. Kinder und Jugendliche, Frauen, Menschen mit geringem oder keinem Einkommen und andere vulnerable Menschen – ausgerechnet diejenigen, die von der Pandemie besonders betroffen sind, werden von der Landes- und Bundesregierung viel zu wenig beachtet. Auch für die Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte fällt die Zwischenbilanz nach über einem Jahr Corona dramatisch aus: 34.000 Unternehmen haben Corona-Nothilfen in Form von Krediten beantragt, 2,3 Millionen Menschen sind auch im Mai 2021 noch in Kurzarbeit, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um rund 750.000 gegenüber dem Vorkrisenniveau gesunken. Mit rund 1,5 Billionen Euro dürften die Pandemie-Kosten für die öffentlichen Haushalte zu Buche schlagen. Gleichzeitig lebt unser Land von der Substanz. Die Investitionsquote – also die Investitionen anteilig am Bruttoinlandsprodukt – liegt im europäischen Vergleich am unteren Ende. Insbesondere der Anteil des Staates an den Investitionen sinkt seit Jahren. Schulen, Freibäder und Brücken verfallen; anstatt den Turbo zu zünden, stockt der Ausbau der erneuerbaren Energien, der digitalen Netze und des ÖPNV. Unser Gesundheitssystem ist auf Wirtschaftlichkeit getrimmt und deshalb „auf Kante genäht“, Reservekapazitäten, die aber als Teil der Daseinsvorsorge dringend erforderlich sind, sind völlig unzureichend. Gleichzeitig sind wir weiterhin mitten in der globalen Klima- und Biodiversitätskrise – wir zerstören unsere eigene Lebensgrundlage. Statt sich wie die niedersächsische Landesregierung krampfhaft auf die Schwarze Null zu fixieren, brauchen wir eine Investitionsoffensive! Nur so können wir mit der Krisenbewältigung die richtigen Weichen für eine sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stellen. Doch statt hier die nötigen Mittel bereitzustellen, befindet sich die niedersächsische Landesregierung aus SPD und CDU eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl schon im Wahlkampfmodus gegeneinander. Das zeigt sich auch im mangelhaften Krisenmanagement in der Corona-Pandemie: langsam, widersprüchlich und intransparent. Mit dem Chaos bei Corona-Verordnungen, Teststrategie und Impfkampagne hat die Landesregierung ebenso wie die Bundesregierung wertvolles Vertrauen in die staatlichen Institutionen und in unsere Demokratie verspielt. Das ist brandgefährlich. Wir brauchen dringend mehr staatliche Handlungsfähigkeit auf allen Ebenen. Krisenbewältigung durch Investitionen in die Zukunft Angesichts der Corona-Krise ist Kaputtsparen keine Option. Wir müssen jetzt investieren, um schnell und kraftvoll aus der Krise herauszukommen. Mangelnde Investitionen in Infrastruktur und Daseinsvorsorge, Bildung oder Klimaschutz belasten nachfolgende Generationen und sind schwere Hypotheken auf die Zukunft. CDU-Finanzminister Hilbers sorgt mit seinem Spardiktat dafür, dass weiter Kinder und Familien und Kitas auf der Strecke bleiben. Wir brauchen ein gut ausgebautes Gemeinwesen, intakte Lebensgrundlagen und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Für diese notwendigen Investitionen ist unser Staat nicht ausreichend handlungsfähig. Insbesondere die Kommunen, die für den größten Teil der öffentlichen Investitionen und den klimagerechten Ausbau der sozialen Infrastruktur zuständig sind, haben unter enormen Steuerausfällen zu leiden. Das hat eklatante Folgen für Schulen, Krankenhäuser und Schwimmbäder genauso wie für Beratungsstellen und Jugendhilfeangeboten. Mit dem Niedersachsenfonds in Höhe von 10 Milliarden Euro wollen wir daher gezielt in soziale Infrastruktur und Klimaschutz investieren. So schaffen wir neues öffentliches Vermögen, anstatt es verfallen zu lassen. Auch mit einer neuen Landeswohnungsbaugesellschaft muss die Landesregierung Verantwortung übernehmen und kann gleichzeitig nachhaltige Wertschöpfung schaffen. Damit Bund und Länder im notwendigen Umfang investieren können, muss die Schwarze Null für Investitionen aufgegeben werden. Wir müssen jetzt investieren, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Ein Haushaltsausgleich nützt nichts, wenn gleichzeitig Schulen, Hochschulen und Kliniken nicht klimagerecht saniert werden und der Ausbau des ÖPNV auf der Strecke bleibt. Die Bedingungen für Investitionen sind auch durch die niedrigen Zinsen jetzt optimal – die Gesellschaft würde einen viel höheren Preis zahlen, wenn wir jetzt die erforderlichen Mittel nicht bereitstellen. Auch die notwendige Qualifizierung unseres Bildungssystems, der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur zum Beispiel für Kinder und pflegende Angehörige und der Ersatz von Hartz IV durch eine Garantiesicherung sind nicht zum Null-Tarif zu haben. Gleichzeitig werden die Steuereinnahmen selbst bei zügiger wirtschaftlicher Erholung das Vorkrisenniveau erst langsam wieder erreichen. Um die soziale Schieflage überwinden zu können, müssen wir die Einnahmen des Staates erhöhen, indem wir Ungerechtigkeiten im Steuersystem angehen: Die großen Einkommen und Vermögen müssen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit stärker zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen. Wir müssen konsequent gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung vorgehen, denn dadurch verliert die Gesellschaft jedes Jahr Milliardenbeträge. Klima- und umweltschädliche Subventionen müssen gestrichen und internationale Konzerne angemessen besteuert werden. Für eine neue politische Kultur Bundes- und Landesregierung haben mit ihrem mangelhaften Krisenmanagement viel Vertrauen verspielt. Die Liste der Versäumnisse, der falschen Entscheidungen und chaotischen Abläufe ist lang. Insbesondere zu Beginn der Coronakrise wurden vulnerable Gruppen unzulänglich geschützt, pandemische Krisenherde gar nicht oder zu spät identifiziert. Schutzausrüstung stand bei weitem nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Teststrategien wurden nicht erarbeitet. Das Impfchaos hat zu einer erheblichen Verunsicherung beigetragen. Verordnungen waren und sind in sich nicht stimmig und teilweise widersprüchlich. Von der Pandemie und ihren Folgen besonders betroffene Personengruppen sind gar nicht oder zu spät ins Blickfeld gekommen. Die Runde der Ministerpräsident*innen wurde immer mehr zur Bühne für Profilierungswut und Wahlkampfgetöse statt für effiziente und demokratische Entscheidungen. Es ist klar geworden, dass wir eine neue Art und Weise brauchen, wie Regierungen das Land führen. Es braucht die Bereitschaft, Zustände und Konzepte zu hinterfragen und zu lernen, sowie offene, konstruktive Diskussionen. Und es braucht die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und die Entscheidungsgrundlagen zu erklären. Dazu gehört eine offene und ehrliche Aufarbeitung politischer Fehler auf allen Ebenen und eine neue Fehlerkultur. Fehler dürfen nicht verdrängt, bagatellisiert oder reflexhaft skandalisiert werden, sondern sie müssen klar benannt und Fehleinschätzungen aufgeklärt werden. Ziel ist, dass zukünftigen pandemischen Gefahrensituationen durch nachvollziehbares Handeln begegnet werden kann. Deshalb fordern wir eine aus Vertreter*innen des Bundes, der Länder und Kommunen zusammengesetzte Kommission, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Corona-Pandemie klare Handlungsabläufe erarbeitet. Wir brauchen klarere Regelungen, die schnelle Entscheidungen auch unter Einbeziehung von Institutionen und Verbänden sowie der Parlamente ermöglichen. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Regelungsdichte für nachgeordnete Behörden und Institutionen in diesem Umfange erforderlich ist. In einer Pandemie, in der Infektionszahlen exponentiell steigen, ist schnelles und vorausschauendes Handeln unerlässlich. Gerade bei Regelungen, die massiv in die Grundrechte eingreifen, ist auch der Dialog mit Verbänden und Kommunen wichtig. Regeln müssen transparent und nachvollziehbar sein und – wenn keine akute Gefahrenlage droht – mit ausreichend Vorlaufzeit beschlossen werden. In Niedersachsen sind SPD und CDU schon jetzt im Wahlkampf gegeneinander. Aktuelle Corona-Verordnungen werden unzureichend abgestimmt und kommen dennoch wegen Konflikten innerhalb der Koalition unzumutbar kurzfristig. Wer 15 Monate nach Pandemiebeginn am Sonntagabend eine neue Verordnung bekannt gibt, die vier Stunden später in Kraft tritt und nur wenige Stunden später erneut geändert werden muss, dem fehlt es an Weitsicht, Entscheidungskraft und Handlungsfähigkeit. Dass sich Ministerpräsident Stephan Weil bei der zentralen Aufgabe des Krisenmanagements weitgehend raushält, ist Führungsversagen. Der so entstandene Eindruck der Handlungsunfähigkeit des Staates bei seiner wichtigsten Aufgabe, dem wirksamen Schutz seiner Bürger*innen, birgt die Gefahr einer fundamentalen Akzeptanz- und Vertrauenskrise, die an den Grundfesten der staatlichen Institutionen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts rüttelt. Hier braucht es eine neue politische Kultur der Bereitschaft zur Übernahme von staatlicher Verantwortung, der Transparenz und des Dialogs. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir einen starken, handlungsfähigen Staat – sowohl für die staatliche Daseinsvorsorge und die nötigen Zukunftsinvestitionen als auch zur Bewältigung der Pandemie. Der „Großen Koalition“ aus SPD und CDU fehlt für beides der Wille und die Kraft – es ist Zeit für GRÜNE in Verantwortung, auch in Niedersachsen!